Wozu die Rede bei der freien Trauung?

Viele kennen das Sprichwort „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“. Der Maler Marc Rothko behauptet sogar „Silence is so accurate“. Wozu also die Rede bei einer freien Trauung? Und Wieso nimmt sie so einen großen Part ein?

Die Rede – als Mittel zwischen Redner:in und Publikum

Per Definition finden wir eine Rede häufig als mündliche Mitteilung beschrieben. In einer Rede äußere ich etwas mündlich und vor einem Publikum. Das, was ich spreche, meine Gedanken und Gefühle, werden also sichtbar durch mein Sprechen und ich teile diese Gedanken öffentlich einer Zuhörerschaft mit.

Damit kann, was ich sage, auch überprüft werden. Das Publikum kann sich von den Gedanken bewegen lassen und sich fragen: stimme ich zu? Erlebe ich das ähnlich? Es muss jedenfalls zuhören. Somit entsteht eine Beziehung zwischen Redner:in und Publikum.

Ihr steht im Vordergrund, eure Geschichte & Gedanken

Bei einer Traurede dreht sich die Rede voll und ganz um das Paar, das sich traut, rückt sie in den Vordergrund und macht sie für alle sichtbar. Das Publikum besteht aus geladenen Gästen, Menschen also, die das Paar kennen und mit ihrer Geschichte vertraut sind.

Eine Traurede teilt die Geschichte und Gedanken des Paares mit dem Paar selbst und den anwesenden Gästen. Der Rede wird zugehört, die Rede wird bezeugt, bejaht und dadurch wird im Rahmen der Zeremonie gemeinsam eine Wahrheit geschaffen. Das Mitteilen wird somit zu einem Wagnis.

Der Unterschied zwischen Rede und Versprechen?

Denken wir zum Beispiel an das Trauversprechen: Wenn ich laut sage: „Ich liebe dich!“, wage ich mich mit meiner Realität in die meines Gegenübers hinein. Ich warte und halte aus, dass die Realität meines Gegenübers möglicherweise eine andere ist. Wenn die Person allerdings auch sagt: „Ich liebe dich!“ Dann teilen wir eine Realität. Dann bekunden wir unsere Liebe.

Natürlich kann ich Liebe auch in vielen nonverbalen Gesten zeigen. Durch Rücksicht, durch eine Umarmung genau im richtigen Zeitpunkt, durch Hilfe, ohne dass sie eingefordert wird, oder einfach im Dableiben, durch Blickkontakt, der sagt: „ich sehe dich.“

Wann von Liebe die Rede ist?  

Wenn einem „Ich liebe dich“ keine entsprechenden Handlungen folgen, dann spricht man von leeren Worten. Worthülsen. Nicht umsonst sagt der Paartherapeut Eric Hegmann „Liebe ist ein Tunwort“. Damit wir als Traurednerinnen keine Floskeln von uns geben, Worthüllen, zu denen jeder „Ja und Amen“ sagen könnte, die aber nicht mit eurem Leben gefüllt sind, hören wir euch zu.

Die Traurede schreibt sich durch das Zuhören.

Wir treffen uns mit euch, stellen euch Fragen zu eurer Geschichte, Euren Blickwinkeln auf den Partner, eure Gefühle für die Partnerin und versuchen alles zwischen den Zeilen mitzuschreiben. Auch eure Eltern, eure Geschwister oder Freunde wissen etwas über euch zu sagen, haben ihre eigenen Erfahrungen, ihre eigenen Worte für euch & eure Rede.

Worte beschreiben, aber nicht nur, was ist. Sie erinnern sich auch, schaffen Bezüge, staunen und formulieren Wünsche, schauen weiter in eine ungewisse Zukunft, greifen daher nach Bildern, um irgendwie zu begreifen, was das ist: Liebe.

Was sie vermag, dass zwei Menschen sich ein Herz fassen und sich entscheiden, ihr Leben miteinander zu verbringen. Auch dieser Entscheidung folgen Worte: Eine Frage, die laut geäußert wird, und eine Antwort darauf: „Ja, ich will.“

©alex-dietrich


Eure Rede: Sprechen, Handeln, einander Versprechen.

Der Schriftsteller Max Frisch schreibt dazu: „Man höre bloß die Dichter, wenn sie lieben; sie tappen nach Vergleichen, als wären sie betrunken, sie greifen nach allen Dingen im All, nach Blumen und Tieren, nach Wolken, nach Sternen und Meeren. Warum? So wie das All, (…) schrankenlos, alles Möglichen voll, aller Geheimnisse voll, unfassbar ist der Mensch, den man liebt.“

Der Mensch hat nun einmal die Sehnsucht, zu begreifen. Er begreift, wenn er ergriffen ist. Wenn er ergriffen ist, handelt er. Sprechen ist eine Handlung. In der freien Trauung folgt der Traurede das Trauversprechen, bei dem sich das Brautpaar laut einander verspricht und „JA“ zueinander sagt. Die Gäste hören es und bezeugen es. Das Trauritual, das optional ist, verdeutlicht häufig das Ja-Wort. Ein gegenständliches Begreifen dieses Versprechens.

Eure Traurede: Die Rede des Verstehens, Erinnerns, Beschreibens und Berührens im Zeichen Eurer Liebe.

„Wir verstehn uns aufs Wort
wir lieben einander.“ (Rose Ausländer/Sprache)

Die Traurede ist also gegenständlich Werden eurer Liebe, die sich konkret versprechen will. Sie öffnet einen Raum, lädt euch und eure Gäste ein, Platz zu nehmen. Sie spricht euch an, sie erinnert euch, beschreibt und berührt und sie schaut in die Zukunft. Sie ist ein Doppelpunkt, eine Bühne und eine Tür. Sie ist wie das gemeinsame Blättern in einem Fotoalbum und kleine Trailer aus den Erinnerungen eurer Freunde und Verwandten, sie kommt von Herzen und nimmt euch an der Hand.

„Wir wohnen
Wort an Wort

Sag mir
dein liebstes
Freund

meines heißt
DU“

(Rose Ausländer/Wort an Wort)

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Klein, aber fein. Die Tiny-Hochzeit!

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Die freie Trauung: unendlich schön und unendlich viele Möglichkeiten.